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Frische Lyft im Taxi

Frische Lyft im Taxi

Stellen Sie sich vor, Sie steigen aus dem Taxi und bezahlen für Ihre Fahrt 20 Dollar. Das Unternehmen verdient daran jedoch keinen Cent, nein, die legen sogar noch einen Zehner drauf. Und am Ende des Jahres schreibt die Firma über 900 Millionen Dollar Verlust. Später kommt dann der Boss des Konzerns auf Sie zu und fragt Sie allen Ernstes, ob Sie bei ihm ins Geschäft einsteigen wollen. Ein intelligenter Mensch staunt jetzt fassungslos und bringt sich und sein Geld schnell in Sicherheit.

Aber wann handeln wir Menschen schon intelligent? Tatsächlich hat sich das beschriebene Szenario nämlich jüngst an der US-amerikanischen Börse abgespielt. Lyft , ein junger Fahrdienstvermittler aus San Francisco, stürmt bei seinem IPO Ende März trotz der heftigen roten Zahlen furios auf den Aktienmarkt. Der erklärte Konkurrent des Taxi-Haifischs Uber sammelt mal schnell rund 2,3 Milliarden Dollar bei den Investoren ein. Können die alle nicht rechnen? Hat Donald Trump LSD ins Trinkwasser gekippt um seine Schäfchen zu ahnungslosen Stützen des sterbenden Marktes zu machen? Oder gibts am Ende doch eine schlaue und logische Erklärung für dieses merkwürdige Verhalten unserer Artgenossen?

Gefeierter IPO ohne Netzwerk-Effekt?

Kult-Caster Scott Galloway, Marketing-Guru und gefeierter Wirtschaftsprofessor aus New York jedenfalls zuckt auch erst einmal mit den Schultern. Zwar habe sich das Taxiunternehmen auf dem nordamerikanischen und kanadischen Markt immerhin rund ein Drittel des Fahrdienstleistungs-Kuchens abgeschnitten. Aber die Geschäftsidee hinter dem 2012er Start-up besitze ja noch nicht einmal einen Netzwerk-Effekt, auf den Anleger vertrauen könnten. Galloway muss es wissen. Oder?

Uber hat sich nicht nur in der Boulevardpresse dank schmutziger Sex-Schlagzeilen und der Analyse miserabler Arbeitsbedingungen ein ordentlich mieses Image eingeheimst. Lyft gilt als vergleichsweise freundliche Alternative. Und hat große, buschig, wuschig neonpinkfarbene Schnurrbärte als Markenzeichen. Aber das kann auch nicht der Grund für den Kaufrausch der Anleger sein. Welcher Zocker mit den Dollars in gierigen Äuglein gibt an der harten Börse schon einen Peanut auf Gefühle oder Stil?

Dann ist der Run auf Lyft also der Angst der Investoren geschuldet, den besten Zeitpunkt für einen Einstieg zu verpassen. Der Tatsache, dass auf dem US-Markt in den vergangenen Jahren eher Zurückhaltung angesagt war in puncto Börsengang von frischen, innovativen Unternehmen. Die Investoren scharren mit den Hufen und warten auf einen neuen, digitalen, Überflieger im Stile von Amazon. Jeff Bezos hat es schließlich vorgemacht: Jahrelang reinvestiert, regelmäßig dunkelrote Zahlen geschrieben, und dann aber hopphopp auf die Überholspur.

… dann sinds wohl doch wieder die guten alten, ewig jungen Roboter

Schlussendlich stellen wir uns bei Schaller Digital noch die Frage, ob dieser gesamte Hype nicht auch als ein Vertrauensvorschuss in den unaufhaltsamen Fortschritt digitaler Denkweisen und Patente zu werten ist: Wenn die künstlichen Intelligenzen rasant weiter entwickelt werden, wenn die Autos ohne Fahrer bald in Serie gehen und unser Mobilitätsverhalten revolutionieren oder gar zum Klimaschutz beitragen können, dann können die Aktienkurse von Fahrdienstvermittlern in astronomische Höhen schießen. Dann braucht es nämlich keine „teuren“ Fahrer mehr, die Ihnen am Ende der Reise die 20 Dollar abknöpfen. Und die Firma mit dem Schnurrbart zahlt dann auch nicht mehr drauf.

Es bleibt spannend, und wir bleiben am Ball.

(Titelfoto: Jil Martinez auf Pixabay)